Rückenmarksnahe Regionalanästhesie – Komplikationen
Das Nebenwirkungsspektrum erklärt sich durch die Verwendung von Lokalanästhetika. Diese haben wir bereits ausführlich im Video “Nebenwirkung der Lokalanästhetika und LAST” vorgestellt.
Neben diesen allgemeinen gibt es auch spezifische Nebenwirkungen bei der Anwendung rückenmarksnaher Regionalanästhesien. Diese können in die Früh- und Spätkomplikationen unterteilt werden.
Die Frühkomplikationen beinhalten die Allergie, das LAST, das Nichtgelingen (Spinalanästhesie ca. 2-3%, Periduralanästhesie ca. 3-5%), die Sympathikolyse, die hohe Spinalanästhesie, Blutungen (wobei oberflächliche und tiefe unterschieden werden), Müdigkeit, das Shivering und selten der Nadelabbruch, die unmittelbare Nervenläsion bis zur Querschnittslähmung.
Bei den Spätkomplikationen zählt man: den Harnverhalt, den postspinalen Kopfschmerz (der auch nach der Periduralanästhesie auftreten kann), diverse neurologische Komplikationen (TNS), das cauda equina Syndrom und den Juckreiz.
Nehmen wir die aufgeführten Nebenwirkungen etwas auseinander.
Über die Allergien und das LAST haben wir bereits bei den Lokalanästhetika berichtet. Das Nichtgelingen bedeutet, dass es trotz mehrerer Versuche und ggf. durch mehrere Untersucher nicht gelingt, die rückenmarksnahe Regionalanästhesie zu setzen. Das kann verschiedene Gründe haben. Der Patient kann nicht gut oder still sitzen, es liegt eine ausgeprägte Skoliose vor, durch Fehlhaltung gibt es Ankylosen zwischen den Wirbelkörpern, es bestehen Narben im Punktionsgebiet, das Gewebe ist verklebt oder der Patient ist zu dick und die Nadel zu kurz.
Die Sympathikolyse ist gekennzeichnet durch die Blockade der Wurzeln von Th1-4.
Hier werden die Nn. accelerantes geblockt. Das führt unweigerlich zur Blockade des Sympathikus. Was bedeutet das nun? Naja, ohne Sympathikus gibt es keine Vasokonstriktion, es folgt eine Vasodilatation mit quasi Verlust an Volumen, sogenanntes venöses pooling. Gleichzeitig können aus der Nebenniere keine Katecholamine mehr freigesetzt werden, so dass ein wichtiger Kompensationsmechanismus ausbleibt.
Die Folge ist ein massiver Blutdruckabfall ohne Möglichkeit einer Reflextachykardie und damit ein Supergau. Kein ausreichendes Volumen, keine adäquate Vorfüllung des Herzen (Stichwort Frank Starling Kurve), keine adäquate Auswurfleistung, eine Makro- und Mikrozirkulationsstörung bis hin zum Multiorganversagen. Und der Körper ist nicht in der Lage durch eine Tachykardie, das Herzzeitvolumen irgendwie aufrecht zu halten. Dem Patienten geht es richtig schlecht! Und euch als betreuenden Anästhesisten auch!
Ihr müsst jetzt flink sein, um Schlimmeres abzuwenden. Klinisch seht ihr eine Bradykardie, Hypotonie, dem Patienten wird übel, er ist blaß, schweißig, die Pupillen erweitern sich, das Bewußtsein schwindet, evtl kommt es zum Krampfanfall und schlussendlich zur kardiovaskulären Dekompensation. Was ihm fehlt ist Volumen!!!
Also Wasser marsch, quasi im Strahl die Vollelektrolytlösung laufen lassen (schön, wenn man zuvor einen ausreichend großen venösen Zugang gelegt hatte…), die Trendelenburg-Lagerung, also kopftief und damit Mobilisieren des Blutes aus der unteren Körperhälfte, die Gabe von 0,5-1 mg Atropin, die Gabe von Katecholaminen (Adrenalin und/oder Noradrenalin) und ggf. die Intubation. Die hohe bzw. totale Spinale ist das Maximalbild der Sympathikolyse. Hier ist die Intubation unvermeidlich.
Überall, wo ihr mit einer Nadel reinstecht, können auch Blutungen auftreten. Bei der rückenmarksnahen Regionalanästhesie werden oberflächliche und tiefe Blutungen unterschieden. Die oberflächlichen werden keine Probleme machen; die tiefen Blutungen also die epidurale Blutung schon. Diese drückt auf einzelne Nervenfasern oder das Rückenmark und löst somit unterschiedliche Läsionen aus. Die Häufigkeit liegt bei 1: 200.000. Das Risiko ist bei der Periduralanästhesie höher als bei der Spinalanästhesie. Das liegt vor allem daran, dass die Periduralnadel dicker ist und damit ein größeres Trauma setzt.
Patienten mit einer Spinalanästhesie beschreiben häufig eine Müdigkeit. Diese ist vor allem darin begründet, dass von der unteren Körperhälfte keine Informationen mehr generiert werden können. Der Kopf erhält weniger Informationen aus der Peripherie und schließt daher auf Ruhe, also Schlafmodus. Ihr solltet daher vorsichtig mit Hypnotika umgehen. Die Patienten brauchen in der Regel nur 2-3 mg Midazolam zur Sedierung.
Das Shivering ist das unkontrollierte Muskelzittern. Dieses entsteht vor allem bei Auskühlung und tritt daher nicht nur bei der Vollnarkose auf. Durch das Shivern versucht der Körper die Normtemperatur wiederherzustellen. Das verbraucht aber viel Energie. Bei Patienten mit einer KHK ist das nicht gut und kann durch den Stress eine Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen oder einen Herzinfarkt auslösen. Und ganz nebenbei empfinden Patienten das Shivern als extrem unangenehm und bedeutet zugleich, dass das eine schlechte Narkose war.
Ein Nadelabbruch ist eine extrem seltene Nebenwirkung, die vor allem bei schwierigen Punktionen auftreten kann. Wenn euch das passiert, müsst ihr eine Diagnostik veranlassen, um zu sehen wo der Nadelrest liegt und ob dieser operativ entfernt werden kann bzw. muss. Überprüft also immer, ob euer Equipment vollständig ist.
Die unmittelbare Nervenläsion stellt eine extrem seltene Nebenwirkung dar. Im schlimmsten Falle kann es bis zur Querschnittslähmung kommen. Daher wird die Spinalanästhesie im lumbalen Bereich gestochen. Das Rückenmark endet beim Erwachsenen etwa auf Höhe L1-3. Die Spinalanästhesie wird meistens bei L3/4 oder L2/3 gestochen, so dass das Rückenmark als solches gar nicht mehr vorhanden ist. In dieser Höhe liegen im Liquor einzelne Nervenfasern vor, die in die Peripherie ziehen. Diese Fasern schwimmen quasi im Liquor. Und nun stellt euch mal bitte einen Fliegenvorhang vor. Die Fusseln sind die Nervenfasern. Wenn ihr versucht mit der Hand genau einen Fussel des Vorhanges vor euch herzuschieben, dann ist das eher unwahrscheinlich. Der Fussel bewegt sich rechts oder links an der Hand vorbei. So ist das auch im Liquorschlauch. Das Treffen einer Faser ist fast unmöglich. Ein Hämatom, wie vorher schon erläutert, kann aber einen Druck auf die Fasern oder die cauda equina ausüben und damit zu kurz- oder auch langfristigen Läsionen führen.
Der Harnverhalt tritt meist bei Männern nach einer Spinalanästhesie vor allem mit Prilocain auf. Das Risiko liegt bei ca 1-3 %. Das müsst ihr auch unbedingt aufklären. Die Patienten beklagen dann Bauchschmerzen, Übelkeit und allgemeines Unwohlsein. Die Therapie der Wahl ist das einmalige Katheterisieren. Bei ambulanten Operationen dürfen die Patienten nicht nach Hause geschickt werden, wenn sie noch nicht Wasser lassen konnten!
Der postspinale Kopfschmerz tritt nicht nur nach einer Spinalanästhesie auf. Er kann auch nach der Periduralanästhesie auftreten und ist für den Patienten sehr unangenehm. Die Inzidenz wird sehr unterschiedlich angegeben. Typischerweise besteht ein beidseitiger Kopfschmerz, der bei sitzender Körperhaltung hervorgerufen oder verstärkt wird. Nackensteifigkeit und/oder subjektive Hörstörungen können ebenfalls vorhanden sein und bessern sich spontan innerhalb von zwei Wochen. Jeder Kopfschmerz, der sich innerhalb von 5 Tagen nach der Punktion entwickelt, zählt dazu. Hierbei ist das Risiko bei einer diagnostischen Liquorpunktion mit Entnahme von Liquor größer als bei der Spinalanästhesie oder Periduralanästhesie. Bei der Liquorentnahme entsteht ein Unterdruck und damit eine Art Zug an den Meningen. Bei der Spinalanästhesie oder Periduralanästhesie ist es eher eine mechanische Reizung der Meningen oder die akzidentelle Duraperforation bei der Periduralanästhesie, auch ein Hämatom kann ursächlich sein. Das Risiko kann vermindert werden, wenn Nadeln mit kleinen Durchmessern, also G25 statt G22 und wenn atraumatische Nadeln (Sprotte, Whitacre) benutzt werden. Atraumatische Nadeln laufen konisch zu (stellt euche einen Deoroller vor) und zerschneiden nicht die Durafasern, sondern drängen sie zur Seite. Das entstehende Loch verschließt sich daher weitestgehend wieder. Bei Nadeln mit einem Schrägschliff (Quinke) werden die Durafasern zerschnitten und da es sich um kollagene Fasern handelt, schnipsen diese quasi auseinander. Das resultierende Loch ist groß und Liquor kann auch nach Entfernung der Nadel austreten. Sollte eine Quincke-Nadel benutzt werden, solltet ihr versuchen vor dem Duradurchtritt die Nadel um 90° zu drehen. Damit läuft der Schrägschliff parallel zu den Durafasern und weniger Fasern werden durchtrennt. Das Loch ist kleiner und das Risiko für den Kopfschmerz geringer. Ist es trotz kleiner atraumatischer Nadel zum Kopfschmerz gekommen, dann gibt es ein Stufenschema. Zunächst sind konservative Maßnahmen mit individueller Bettruhe und Symptomkontrolle mit der Gabe von Analgetika, Infusion und einer Thromboseprophylaxe wichtig. An zweiter Stelle steht die medikamentöse Therapie mit Coffein (2 x 300 mg) und Theophyllin 3 x 350 mg. Als letzte Stufe kann man einen epidurale Blood-Patch setzen. Dem Patienten werden dazu 20 ml Eigenblut entnommen und mittels PDA meist in Höhe der vorherigen Lumbalpunktion epidural instilliert. Anschließend sollte der Patient für 60 min in Bauchlage, wenn möglich für zehn Minuten in 30°-Kopftieflage gelagert werden. Das Blut verteilt sich dann über 4 bis 5 Wirbelhöhen und führt zu einer gelatinösen Tamponade des Duralecks mit anschließender Vernarbung.
Zu den diversen neurologischen Komplikationen zählen der Meningismus, einzelne Nervenläsionen, die Verletzung der cauda equina, die intraneurale Injektion, das Guillain Barrè Syndrom mit einer aufsteigenden Spinalanästhesie.
Das cauda equina Syndrom kann durch die iatrogene Punktion, ein Hämatom oder ein Abszeß entstehen. Typischerweise bestehen dann eine Reithosenanästhesie mit Stuhl- und Harninkontinenz.
Der Juckreiz entsteht durch die zusätzliche Gabe von Opioiden bei der Spinalanästhesie und Periduralanästhesie. Das müsst ihr zuvor auch unbedingt aufklären. Die Patienten beklagen einen fürchterlichen Juckreiz und sind erheblich beeinträchtigt. Pusteln oder Rötungen wie bei der Allergie treten nicht auf. Ihr steht jetzt am Bett. Was macht ihr nun? Die Therapie der Wahl ist das Titrieren von Naloxon. Meist reichen minimale Mengen aus, um den Juckreiz zu unterbrechen ohne dabei die Analgesie zu beenden. Zieht dafür 1 Ampulle Naloxon 0,4 mg auf 10 ml NaCl 0,9 % auf und gebt ml-weise das Medikament intravenös ab bis der Juckreiz beendet ist. Der Patient wird begeistert sein!