Notfälle in der Schwangerschaft – peripartale Hämorrhagie


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Die häufigsten Ursachen der Müttersterblichkeit in Industriestaaten sind die peripartale Hämorrhagie, thrombembolische Ereignisse und hypertensive Schwangerschaftserkrankungen. Zu letzteren zählen die Prä-Eklampsie, die Eklampsie und das HELLP-Syndrom. In diesen Fällen ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkologie, Anästhesie, Intensivmedizin und Geburtshelfern extrem wichtig. Ein schnelles und adäquates Eingreifen ist essentiell. Es geht schließlich um das Leben zweier Menschen, nämlich Mutter und Kind.

In dieser Videoreihe wollen wir euch wichtige Fakten dazu geben.

Beginnen wir mit der peripartalen Hämorrhagie.

Schwere Blutungen machen ca. 27 % der weltweiten Müttersterblichkeit aus. Die Hälfte davon tritt postpartal auf.

Aber wann reden wir von einer peripartalen Hämorrhagie? Sie wird anhand des Blutverlustes definiert. Eine Hämorrhagie liegt vor, wenn mehr als 500 ml Blut bei vaginaler Entbindung und mehr als 1000 ml beim Kaiserschnittverloren gingen.

Wie kann man den Blutverlust abschätzen? Im Prinzip gelingt das nur visuell, tatsächlich durch Abschätzen. Das ist natürlich sehr subjektiv und damit fehlerbehaftet. Eine falsche Wahrnehmung kann wertvolle Zeit verstreichen lassen und birgt daher hohe Risiken. Es gibt aber auch kalibrierte Auffangbeutel, die unterhalb des Vaginaltraktes oder an den OP-Tüchern angebracht werden können. Der Blutverlust ist so besser ermittelbar.

Bei welchen Patienten muss ich damit rechnen, dass eine peripartale Hämorrhagie auftreten könnte? Die Risikofaktorensind ganz vielfältig. Angeborene Blutungsneigung, wie zum Beispiel beim Von-Willebrand-Syndrom, vorangegangene Hämorrhagien, der Kaiserschnitt als solches, Makrosomie des Kindes, eine übertragene Schwangerschaft, die Multiparität, hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, abnorme Plazentalage, eine prolongierte Nachgeburtsperiode, ein BMI > 35 kg/m² und ein Alter der Mutter > 35 Jahre zählen dazu.

Neben der Einschätzung oder Messung des tatsächlichen Blutverlustes ist die frühzeitige Erkennung der hämodynamischen Instabilität wichtig. Aber: während der Schwangerschaft ist die Herzfrequenz physiologischerweise erhöht. Der Schockindex, also der Quotient aus Herzfrequenz und systolischem Blutdruck, ist nicht aussagekräftig.
Wie erscheinen dann also Patienten im Schock? Sie sind schweißig, klagen über Müdigkeit, Kopfschmerzen, Somnolenz, Übelkeit, sind blass, die Rekapillarisierung ist verzögert. Die Rekapillarisierung testet ihr z. B. an der Nagelfalz: ihr drückt hier kurz drauf, lasst los und beobachtet, wie lange es dauert, bis wieder eine gute Durchblutung, also ein Rosigwerden, auftritt. Ist das verzögert, liegt ein Schockgeschehen vor.
Wenn ihr das Gefühl habt OMG-positiv, also “Oh mein Gott”, dann ruft Hilfe, schließt ein Monitoring an, legt einen venösen Zugang und gebt eine Infusion.

Ihr müsst euch dann Gedanken machen, was die Ursache für die peripartale Hämorrhagie ist. Das kann man unter den “4-T” zusammenfassen: tone, trauma, tissue und thrombin.
Zu 80 % handelt es sich um eine Uterusatonie, meist bei Mehrlingsschwangerschaften oder großen Kindern. Bei 13 %gibt es eine Geburtsverletzung, wie z. B. die Uterusruptur, die Episiotomie, also die operative Erweiterung des Geburtskanals oder Einrisse der Vulva oder Cervix. Zu 5 % handelt es sich um plazentare Fehllagen, wie die placenta accreta, increta oder percreta. Aber auch der Verbleib von Plazentaresten kann eine Hämorrhagie auslösen. Daher ist die Inspektion der Eihäute auf Vollständigkeit essentiell! Echte Koagulopathien sind selten. Sie treten nur zu ca. 2 % auf. Beim HELLP-Syndrom und der Fruchtwasser-Embolie ist daran zu denken.

Was macht ihr nun mit eurer Patientin?

Allgemein:

Ist euer Eindruck OMG-positiv, dann holt spätestens jetzt Hilfe, informiert euren Hintergrunddienst und informiert die Anästhesie. Die Kreislaufstabilisierung und das Normalisieren der Gerinnung ist das einzig zielführende.

Dazu legt ihr einen großlumigen i.v.-Zugang. Auch EKG, Pulsoxymetrie und Blutdruckkontrollen (ggf. mittels invasiver Blutdruckmessung) sind notwendig. Ihr nehmt Laborkontrollen ab für Blutbild, Gerinnung mit Quick, PTTund Fibrinogen, Leber- und Nierenwerten sowie eine BGA zur Bestimmung des Säure-Base-Status. Dann schließt ihr eine Vollelektrolytlösung an und lasst diese zunächst mal “im Strahl” laufen. Dazu gebt ihr 1-2 g Tranexamsäure, ein Mittel, das bei einer Hyperfibrinolyse mit dem Ziel der Stabilisierung des Fibringerinnsels eingesetzt wird. Bei starken Blutungen müsst ihr immer daran denken, dass mit dem Blut vor allem das Endprodukt der Gerinnung, also Fibrinogen,verloren geht. Also müsst ihr es ersetzen: Hierbei sind 2-4 g Fibrinogen üblich. Wartet nicht, bis ihr den Laborwert vorliegen habt, sondern gebt es prophylaktisch. Wenn die Ursache der Blutung klar ist, dann ist diese kausal zu behandeln.

Da in den meisten Fällen eine Uterusatonie ursächlich ist, gebt ihr 5-10 IE Oxytocin als Kurzinfusion über 15 Minuten. Bitte nicht als Bolus geben, da eine erhebliche Kreislaufdepression möglich ist. Das aber wollen wir verhindern. Reicht die Einmalgabe nicht aus, könnt ihr auch 10-40 IE Oxytocin in 1000 ml Infusion geben: 500 ml dann innerhalb von 10-15 min applizieren und den Rest mit 250 ml/h laufen lassen. Dazu hilft die manuelle Massage des Uterus bis hin zur bimanuellen Uteruskompression. Die routinemäßige Gabe von Prostaglandinen, wie z. B. Misoprostol, wird nicht empfohlen. Sie könnte aber als ultima ratio erwogen werden.

Ist die Verletzung des Geburtskanals die Ursache, ist diese operativ zu versorgen bis hin zur Uterusentfernung. Sind Nabelschnuranteile verblieben, müssen diese entweder manuell oder operativ mittels Kürettage entfernt werden. Sind Koagulopathien die Ursache, sind die fehlenden Faktoren zu ersetzen. In aller Regel wäre das PPSB (Prothrombinkomplex) bei anhaltender Blutung. Im Falle einer Verbrauchskoagulopathie mit niedrigen Quick-Werten gebt ihr 20-40 IE/Kg KG, bei  PTT-Verlängerungen gebt ihr FFP (fresh frozen plasma) 30 ml/kg KG, bei Thrombozytopenie gebt ihr 2-4 Thrombozytenkonzentrate mit dem Ziel von 100.000 Thrombozyten/µl Blut und Desmopressin als unspezifischer Thrombozytenaktivator mit 0,3 µg/kG KG über 30 min.

Zusätzlich muss die Transfusion von Erythrozyten bedacht werden, um die Sauerstofftransportkapazität zu erhalten.

Neben diesen speziellen Therapieansätzen solltet ihr für eine Normothermie sorgen, eine Azidose vermeiden und den Serumkalziumspiegel normalisieren. Warum das fragt ihr euch vielleicht? Sowohl die Hypothermie als auch die Azidose verschlechtern die Gerinnung. Und für die Aktivierung der Gerinnung ist Calcium nötig. Bei ausgedehnten Blutungenund Substitution von Blut und Blutprodukten sinkt aber der Calciumwert deutlich. Ursache ist das Zitrat in den Erythrozytenkonzentraten. Dieses bindet Calcium und verhindert somit die Gerinnung. In der Konserve ist das erwünscht, aber im Patienten nicht. Daher ist die Calciumkontrolle nach Transfusionen absolut essentiell.

Die Infusionstherapie ist im Verlauf auf den Bedarf anzupassen, sonst droht eine Überinfusion. Eine Überinfusion führt selbst zur Verdünnungskoagulopathie und zu Scherkräften an den Endothelzellen. Das kann eine Veränderung der Permeabilität hervorrufen und zur Proinflammation und Ödemen führen.

Führen alle Maßnahmen nicht zum Erfolg, kann die Gabe von Faktor VIIa erwogen werden. Dieses ist aber zum einen sehr teuer und zum anderen mit der erheblichen Gefahr von thrombembolischen Komplikationen verbunden und ist somit nur eine ultima ratio.

Zusammenfassend kann man sagen, dass ihr

  • Hilfe holt,
  • einen großlumigen intravenösen Zugang legt und Vollelektrolytlösung gebt,
  • Labor abnehmt,
  • die Temperatur haltet,
  • den Säure-Base-Status und den Calciumhaushalt stabil haltet,
  • euch die Ursache für die Hämorrhagie überlegt und
  • diese kausal mit Oxytoxin, PPSB, FFP, Desmopressin behandelt.

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