balancierte Anästhesie – aortobifemoraler Bypass, multimorbider Patient
Jetzt haben wir unsere ersten Erfahrungen mit der TIVA gemacht. Als nächstes liegt ein 84- jähriger Herr vor uns mit einer Niereninsuffizienz Stadium III, einem aHT, einer COPD und einer 2-Gefäß-KHK. Bei ihm ist ein aortobifemoraler Bypass geplant. Die OP-Zeit wird ca. 3-5 Stunden betragen.
Folgende Probleme müssen wir beachten. Der alte Herr wird weniger Narkosemittel brauchen, sein Verteilungsvolumen ist geringer, das Risiko für eine ausgeprägte Hypotonie ist aufgrund der Vorerkrankungen, aber auch durch den erwartbar hohen Blutverlust sehr wahrscheinlich. Zusätzlich werden unsere Injektionsanästhetika schlechter abgebaut und die Wirkdauer unberechenbar. Jede Hypotonie-Phase verursacht Organschäden und erhöht die Letalität. Verschiedene Organe, wie das Gehirn und die Nieren, haben eine Autoregulation in der die eigene Versorgung weitestgehend sichergestellt bleibt. Ausgeprägte Blutdruckabfälle > 25 % des Ausgangswertes und lange andauernde hypotone Phasen sind aber mit einer erhöhten Rate an akuten Myokardinfarkten und einer erhöhten 30 Tage Sterblichkeit assoziiert. Auch ist das perioperative Stroke Risiko erhöht. Bisher konnte noch kein eindeutiger Zusammenhang zum perioperativen Delir gezeigt werden, es scheint aber sehr wahrscheinlich. D.h. in unserem Fall ist jeder Blutdruckabfall zu vermeiden bzw. so gering wie möglich zu halten! Sonst sind sein vorgeschädigtes Herz und die Nieren in größter Gefahr.
Unsere Medikamentenauswahl und unser Management ist dementsprechend anzupassen. Der Abbau der Injektionsanästhetika sollte nach Möglichkeit organunabhängig sein.
Wir leiten in seinem Fall die Narkose mit Etomidat ein mit einer Dosis von 0,15-0,3 mg/Kg. Etomidat hat den Vorteil einer schnellen Hypnose ohne wesentliche Hypotonie und der sogenannten Luxusperfusion durch Koronardilatation. Daher ist der Einsatz bei Kreislaufinstabilen bzw. Kardialgeschädigten sinnvoll. Sein Nachteil ist die reversible dosisunabhängige Hemmung der Kortisolsynthese, weshalb es für die Langzeitgabe nicht geeignet ist. Etomidat kann auch Myoklonien und einen Trismus auslösen. Dann kann der Mund schlecht geöffnet werden und damit die Intubation erschwert sein. Die maximale Wirkung des Etomidat ist binnen 10 sec erreicht und hält ca. 3-5 min an.
Als Opioid können wir Sufentanil nehmen.
Die Schmerzintensität wird hoch sein, ein starkes Mittel sinnvoll. Wir laufen aber Gefahr, dass die kontextsensitive Halbwertszeit durch die Niereninsuffizienz erhöht ist. Andererseits hat Sufentanil einen sehr hohen first pass Effekt, so dass die kontextsensitive Halbwertszeit tatsächlich erst nach ca. 5 Stunden ansteigt. Anders ist das beim Fentanyl. Hier steigt dosisabhängig sofort die kontextsensitive Halbwertszeit an. Wenn wir organunabhängig therapieren wollten, dann könnten wir uns auch für Remifentanil entscheiden. Dieses wird kontinuierlich in einer Dosis von 0,25 µg/Kg/min gegeben und ist gut steuerbar. Blutdruckschwankungen können damit eher vermieden werden, als bei intermittierenden Sufentanilgaben. Remifentanil wird durch unspezifische Gewebsesterasen abgebaut und ist somit unabhängig von der Nierenfunktion. Sein nachteil ist die stärkste Thoraxrigidität aller Opioide, so dass eine Bolusgabe vermieden werden sollte. Zur Narkoseinduktion ist entweder eine hohe Startlaufrate von 0,3-1,0 µg/kg/min oder ein Bolus von z.B. Sufentanil mit 15 µg möglich.
Wir entscheiden uns mal für Remifentanil. Der Perfusor mit Remifentanil wird rechtzeitig angeschlossen und mit 0,25 µg/kg/min gestartet. Erst nach 2-3 min wird dann das Etomidat verabreicht.
Binnen 1 Minute wird der Patient schlafen und atemdeprimiert sein. Wir sichern die Sauerstoffversorgung mit einer Maskenbeatmung. Nun brauchen wir auch eine Relaxierung. Cisatracurium wird durch die Hofmann Elimination sowie unspezifische Plasma-und Gewebsesterasen abgebaut und ist damit organunabhängig. Es wird mit einer Dosis von 0,1-0,15 mg/Kg verabreicht. Die Maskenbeatmung wird fortgesetzt, bis eine ausreichende Relaxierung erlangt ist. Die Anschlagszeit beträgt ca. 3 Minuten. Nun wird der Atemweg mittels Intubation gesichert, der Patient an die Beatmung angeschlossen.
Eine TIVA bei unserem Patienten wäre sicher möglich. Es birgt allerdings die Gefahr erheblicher Blutdruckabfälle. So dass eine balancierte Anästhesie, also die Kombination einer Inhalationsanästhesie z.B. mit Sevofluran zur Narkoseaufrechterhaltung und Remifentanil zur Analgesie am ehesten sinnvoll ist. Auch Desfluran kann verwendet werden. Es ist aber bei Patienten mit COPD ungünstig, da es atemwegreizend ist. Es ist auch ungünstig bei Patienten mit einer KHK, da es zu Blutdruckanstiegen und Tachykardien kommen kann.
Die Narkose erhalten wir mit Sevofluran und Remifentanil aufrecht. Die Relaxierung können wir mit intermittierenden Gaben Cis-Atracurium (bei einer Wirkdauer von ca. 60 min also jede Stunde einen Bolus) oder auch mittels kontinuierlicher Infusion durchführen. Allerdings sollte 1 Stunde vor Ende der OP der letzte Bolus gegeben bzw der Perfusor gestoppt worden sein, denn sonst kann eine Restcurarisierung bestehen. Das nennt man liebevoll auch PORC und macht eine Spontanatmung unmöglich. Auf die Relaxometrie wollen wir hier nicht weiter eingehen.
Spätestens 20 min vor dem OP-Ende müssen wir einen Opioidbolus geben, um die postoperative Analgesie sicherzustellen. Das Remifentanil hat ja nur eine Wirkdauer von wenigen Minuten. Wir geben Piritramid in einer Dosis von 0,05-0,1 mg/KG.
Nach 4 Stunden ist die OP beendet, die Narkose ausgeleitet, der Patient wach und reflextüchtig und wird kreislaufstabil auf die Intermediate Care verlegt.
In unserem Fall ist sicher präoperativ eine Versorgung mit einem ZVK sinnvoll. Über die Infusionstherapie und Hämotherapie sowie die Nutzung einer maschinellen Autotransfusion (MAT) werden hier nicht näher eingehen.
Die Videoreihe nutzt Protokolle von https://www.medlinq.com. Diese findet ihr Standardmäßig im OP und vielen weiteren Bereichen.